Von Zwergen und Königskindern

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Tatsächlich. Auch Pandemie-Zeiten haben ihr Gutes. Wir entdecken das Land, in dem wir geboren wurden, neu. Da wir gern Wein trinken und guter Wein vorzugsweise in Landschaften angebaut wird, die dicht an einem Fluss liegen, sind uns in diesem Jahr die deutschen Flüsse neu ans Herz gewachsen. Da ist zum einen der Main, zum anderen die Mosel, die wir allerdings bereits im letzten Jahr ausführlich bereist haben und über die, Asche üppig auf mein Haupt verstreut, hier noch ein Beitrag fehlt.

Hier geht es nun um den Fluss, den Strom, dessen Narrativ recht unterschiedliche Motive transportiert, romantisch überhöhtes Nationalheiligtum, wagnerianisches Gesamtkunstwerk, politisch ausgeschlachteter Grenzfluss; ein Fluss, der die römische Kolonialisierung der Provinz Germanien, aber auch die Industrialisierung vorangetrieben hat und auch heute noch ein wichtiger Teil der europäischen Binnenschifffahrt ist: der Rhein. Vater Rhein, Rhenus pater, ein Begriff, der bereits aus der Antike stammt.

Ein vielfältiges Bild bietet dieser über 1200 Kilometer lange Strom, der im Kanton Graubünden in der Schweiz aus dem kleinen Tomasee entspringt und über ein weit verzweigtes Delta mit Maas, Waal, Lek und Nederrijn bei Rotterdam in die Nordsee mündet. Rund 700 Kilometer fließt der Rhein im heutigen Deutschland, ein großer Teil davon bildet die Grenze zur Schweiz und zu Frankreich.

Hatten wir bereits öfters den Rheingau bereist, der sich an die Ufer des letzten Teiles des Oberrheines schmiegt, so wurde es dieses Mal der Mittelrhein, der Bereich, der von Bingen flussabwärts bis Bonn führt.

Drama, Baby

Fließt der Rhein zwischen Wiesbaden und Bingen breit und ruhig zwischen flachen Ufern dahin, so geht es am Mittelrhein deutlich dramatischer zu: Die Ufer steil und eng, der Rhein ist hier teilweise bis zu 25 Meter tief, es gibt enge Windungen, die für die Schifffahrt auch heute noch risikoreich sind, so zum Beispiel am berühmten Loreley-Felsen.

Schaut man auf das Wasser, fällt hier auf: Die ruhigen, klaren Wellen des Rheingau-Gebietes sind hier Geschichte, hier sieht man dagegen sehr deutlich Strudel, gegenläufige Wellen, insgesamt einen ausgesprochen unruhigen Wasserspiegel. Und wie von selbst treiben die Rheintöchter Floßhilde, Wellgunde und Woglinde vor unserem inneren Auge ihr schalkhaftes Spiel, der lüsterne Zwerg Alberich lässt sich gerne von ihnen reizen, verliert sein kostbares Rheingold dabei an Fafner, der in Gestalt eines Drachen auch nicht weit ist …

Es ist in der Tat eine dramatisch anmutende Landschaft, was durch die Vielzahl trutziger Burgen, die rechts und links des Flusses auf steilen Felsvorsprüngen wie Drohgebärden sitzen, noch verstärkt wird.
Bei Kaub liegt sogar eine mitten im Fluss, die Burg Pfalzgrafenstein, bei der es sich um eine Zollstation aus dem 14. Jahrhundert, erbaut von Kaiser Ludwig IV. (genannt „der Bayer“), handelt.

Im Sommer mag das alles auch durchaus lieblich anzusehen sein, im Oktober aber, mit dunkel dräuendem blau-grauen Gewolke und in einem plötzlichen Sonnenstrahl seegrün aufschimmerndem Wasser, mit herbstlichem Weinlaub und dunklem Nadelwald – da ist das Drama pur.

Die Ruhe vor dem Sturm

Noch einmal kurz zurück zum Rheingau: Hier werden die Weine angebaut, die in meinen Augen die Charakteristik des deutschen Rieslings am schönsten zeigen: eine kristalline Strahlkraft, eine aristokratische Eleganz, eine Feinheit im Zusammenspiel der Mineralik, der Fruchtnoten, der Süße und der Säure, die ich noch bei keinem anderen Wein gefunden habe.
Die weichen Hänge am flachen Rheinufer zwischen Wiesbaden und Assmannshausen mit den Örtchen Eltville, Erbach, Kiedrich, Hattenheim und Oestrich-Winkel sind wunderschön anzusehen und stehen (mit) für die besten Weine, die Deutschland anzubieten hat.

Herausragend hier für mich: die Weine des Weingutes Graf Schönborn in Hattenheim und, wenngleich ohnehin populär: die Weine von Wilhelm Weil (Weingut Robert Weil) aus Kiedrich. Warte, nur ein Weilchen … und die manchmal graue Welt sieht gleich wieder schöner aus. Rheingau in Perfektion.

Sehenswert hier auch das Kloster Eberbach, in dem in Teilen der Film „Der Name der Rose“ gedreht wurde.

Eine wunderbare Aussicht hat man vom Café des Schlosses Johannisberg aus, das weite Rheintal vor sich, Rebflächen so weit das Auge reicht, aus denen die spitzen Türme der Benediktinerinnen-Abtei Sankt Hildegard hervorragen.

Schloss Vollrads ist ebenfalls unbedingt einen Besuch wert, im Hof finden oftmals kleine Weinfeste mit Speis und vor allem Trank statt und die Räumlichkeiten können auch gemietet werden. Wenn man den Weinberg rechter Hand hochsteigt, gelangt man zu einer Bank, die vor einem Kreuz steht, daneben ein Gedenkstein. Hier setzt man sich leise hin, schaut über Rheintal, Schloss und Rebflächen, und erhebt in Gedanken ein Glas auf Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau, einen unermüdlichen Botschafter des deutschen Weines, der sich 1997 an dieser Stelle erschoss, als sein Ahnen-Schloss Vollrads und insolventes Weingut der Sparkasse anheim fiel.
Assmannshausen steht nun vor allem für Rotwein, hier wird in der Lage Höllenberg Spätburgunder angebaut, der seinesgleichen sucht. Ein Assmannshäuser Höllenberg von 1979, der nach dreißig Jahren fast ein Rosé war, dessen rote Farbpigmente als Satz auf dem Boden des Glases lagen, der aber dennoch die konzentrierte Aromatik dieses Weines in aller Größe präsentierte, zählt noch immer zu meinen ganz besonderen Wein-Erlebnissen.

Ein Sessellift führt von Assmannshausen aus zum präpotenten Niederwald-Denkmal, man denke an die Wacht am Rhein – eindrücklich, aber mit leisem Schaudern. Ein kurzer, schöner Spaziergang bringt uns zur Seilbahn, mit der man nach Rüdesheim hinuntergleiten kann.

Hähne und Steilhänge

Von Bacharach aus fahren wir durch die berühmteste Weinlage des Mittelrheins zu unserem Domizil. Der „Bacharacher Hahn“ kann es an Steilheit gut mit einigen Lagen an der Mosel aufnehmen, die Autorin hat es für Sie – ausgestattet mit famos besohlten Wanderschuhen – getestet und … nein, ich möchte hier nicht bei der Lese helfen. Zumindest nicht von oben nach unten. Ich hatte größte Mühe, nicht abzurutschen, als ich Mundraub beging und einige der goldig-grünen Trauben mit den matt-grauen Pünktchen von den Weinstöcken brach. Die Beeren waren klein und relativ dickschalig, schmeckten aber süß und waren unendlich saftig.

Im Gegensatz zur ruhigen Landschaft des Rheingaus mit den strahlkräftigen, mineralisch ausdrucksstarken Rieslingen, würde ich die Weine hier am Mittelrhein eher ruhig nennen, während die Landschaft vielleicht die dynamischere ist. Sie besitzen etwas mehr Schmelz, was sie zu perfekten Begleitern der örtlichen Küche macht. Ganz hervorragend sind die Hähne von Peter Jost, einem Traditionswinzer, der das Weingut Toni Jost, den Hahnenhof, inzwischen in sechster Generation mit seiner Tochter Cecilia leitet.

Unser Domizil lag übrigens ebenfalls auf einem steilen Hang hoch über dem Rhein; von unserer Wohnung im lauschigen Hanswieschen sah man morgens den Nebel über dem Fluss stehen wie eine Wand, auch dies wieder sehr „Drama, Baby“.

Neben Bacharach liegen in dieser Gegend die sicherlich sehr bekannten Orte St. Goar, Sankt Goarshausen, der berühmte Loreley-Felsen und die kleine Ortschaft Kaub. Hier tut man übrigens gut daran, sich vorher zu überlegen, auf welcher Seite des Rheines man sich bewegen möchte, denn der verwöhnte Großstädter steht hier vor einem Phänomen: Es gibt keine Brücken! Von einer Seite zur anderen gelangt man mit Fähren, von Bacharach aus zum Beispiel oder von Lorch. Wenn man die Abfahrtszeiten verpasst, wird man zum Königskind und der Kapitän der Fähre zur falschen Norne, also aufgepasst.

Der dritte Rhein

Nun gibt es aber ein weiteres Weinanbaugebiet am Rhein, das mir sehr am Herzen liegt: Rheinhessen, ein Gebiet, das sich von Mainz aus in südlicher Richtung flussaufwärts zieht. Die Weinlagen befinden sich hier nicht direkt an den Ufern des Flusses, sondern liegen entweder in den Hügeln hinter den Ufern, wie z. B. in Wackernheim, Nierstein mit seinem Roten Hang oder Oppenheim, oder aber sie liegen gänzlich im recht flachen Landesinneren. Der Charakter dieser Weine hat noch etwas mehr Schmelz, sie sind weicher und runder, manchmal aber auch würziger und wahrscheinlich zugänglicher als die Weine aus dem Rheingau oder vom Mittelrhein. Es sind sehr schöne, saftige Weine, die sich gut in Gesellschaft und zu einem deftigen Essen trinken lassen. Sehr gerne mag ich hier zum Beispiel den Orbel von St. Antony, oder auch den Brudersberg, den Ölberg und den Pettenthal. Es gibt tatsächlich auch (zu Recht) veritable Stars unter den Winzern in Rheinhessen wie z. B. das Ehepaar Hans Otto Spanier und Carolin Kühling-Gillot oder Klaus-Peter Keller aus Flörsheim-Dalsheim.

Ganz Rheinhessen also ein Weinanbaugebiet, das sich dem runden, zugänglichen Wein verschrieben hat? Ganz Rheinhessen? Nein, ein Winzer aus Nierstein widersetzt sich dieser Tendenz und produziert Weine, die den Genießer an die Grenze seiner üblichen Bewertung von Weinen bringen. Einfach zu beschreiben ist da nichts, hier müssen neue Worte gefunden werden. Und einfach ist auch nicht, was der Winzer da in seinem alten Keller in einem ehemaligen Kloster tut: Hier werden die Trauben für die Maischevergärung noch und wieder mit den Füßen gestampft; ist der Wein im Fass wird jeden Morgen probiert und geschaut, ob die Hefen nach der Spontanvergärung ihre Arbeit wunschgemäß verrichten. Da blubbert es hier und zischt es da, das ist lebendiger Wein in Reinkultur.

Der Basiswein Naturweiß ist bereits ein Kraftpaket an Aromatik, der Niersteiner Riesling eine Ode an Land (im Sinne von Terroir) und Traube. Der Kabinett treibt das charakteristische Süße-Säure-Spiel des Rieslings auf die Spitze. Kai Schätzel macht sicher keine Weine für Jedermann. Aber jeder Weinfreund sollte einmal diese (Natur-)Weine probiert haben und sich an deutschen Weißwein noch einmal ganz neu herantasten – es lohnt sich!

Ein Bäuchlein im Samtmantel

Kommen wir nun aber endlich zum Speisen: Hier gibt es nun ein Gericht, das wir im Restaurant Baiken bei Kiedrich genossen haben und das mit seinem Spiel von üppigen Aromen, Deftigkeit und Sanftheit perfekt zu Rhein-Wein passt: Praline vom Schweinebauch mit Fenchel und Kartoffelpüree. Leider mussten wir den Schweinebauch, weil dieser scheinbar inzwischen oft mit eher dünnem Fettrand verkauft wird, durch ein Stück Braten vom Landschwein ersetzen, was dem Geschmack aber keinen Abbruch tut. Wenn Sie aber einen „richtigen“ Schweinebauch bekommen, nehmen Sie unbedingt den. Wie Sie oben schon sehen: Der Ölberg von Kai Schätzel ist ein Träumchen dazu!

Schweinebauch mit Fenchel

Schweinebauch mit Fenchel

Gang: AllgemeinKüche: DeutschSchwierigkeit: Mittel
Portionen

2

Portionen
Vorbereitungszeit

30

Minuten
Kochzeit

3

Stunden 

Zutaten

  • 500 g Schweinebauch oder Braten (auf jeden Fall mit schöner Fettschicht)

  • Zerstoßener Kümmel, Salz, schwarzer Pfeffer

  • Sojasauce, Honig

  • Kartoffelpüree (nach Ihrem eigenen Rezept, sollte aber auf jeden Fall sehr seidig sein)

  • 2 – 3 Knollen frischer Fenchel

  • 2 – 3 Knoblauchzehen

  • 1 EL Agavendicksaft

  • 2 Stängel Rosmarin

Zubereitung

  • Den Schweinebauch oder Braten rundum mit zerstoßenem Kümmel, Salz und Pfeffer einreiben, die Haut rautenförmig mit einem sehr scharfen Messer einschneiden
  • In einer Kasserolle mit etwas Butterschmalz von allen Seiten gut anbraten
  • Das Rosmarin und die Knoblauchzehen dazugeben und die Kasserolle in den auf 100 Grad vorgeheizten Backofen geben, das Ganze mindestens 2 Stunden garen lassen
  • Währenddessen den Fenchel säubern und längs in schmale Streifen schneiden
  • Fenchel in einer Pfanne mit etwas Öl kurz anbraten, 1 kleingehackte Knoblauchzehe dazugeben
  • 2 – 3 EL warmes Wasser dazugeben und so lange schmoren, bis der Fenchel die gewünschte Konsistenz erreicht hat (wir essen ihn gerne noch leicht knackig).
  • 1 EL japanische Sojasauce mit 1 EL Agavendicksaft mischen und zum Fenchel geben, kurz weiterschmoren lassen. Salzen, Pfeffern. Dann beseite stellen.
  • Nach rd. 2 Stunden schauen, ob das Fleisch gar ist, dann aus der Kasserolle nehmen (Rosmarin und Knoblauch ebenfalls). Die Haut mit etwas Sojasauce und Honig bestreichen und nochmals in den Backofen geben, mit der Grillfunktion kurz anrösten lassen. Beiseite stellen.
  • Den Bratensatz in der Kasserolle mit 500 ml Wasser ablöschen und das Ganze so lange reduzieren, bis die Sauce den gewünschten, intensiven Geschmack erreicht hat (es sollten nur noch ca. 150 ml vorhanden sein).
  • Braten mit Fenchel und Kartoffelpüree anrichten – und schmecken lassen!