Breizh – oder von Panzerknackern und Scherenhänden

Dass wir Meeresfrüchte sehr gern mögen, habe ich, glaube ich, an der einen oder anderen Stelle schon erwähnt und auch, dass es in Frankreich eine reiche Vielfalt derartigen Getiers auf den Märkten, den kleinen Spezialitätengeschäften, den Fischgeschäften und den gut sortierten, großen Supermärkten gibt. Unser erster Weg, wenn wir nach Frankreich kommen, führt in der Regel in den örtlichen E.Leclerc, eine populäre Kette großer Supermärkte, die sich meist in der Zone Industrielle oder Zone Artisanale befinden – und hier zur Fischtheke. Dies ist der Ort, wo wir unser eingerostetes Französisch das erste Mal wieder zum Schwingen bringen. Sehr zum Amüsement der Verkäuferinnen.

Ein wenig schwierig gestaltete sich dies zuletzt in der Bretagne. Unsere hübsche Ferienwohnung lag direkt in der Altstadt von Saint-Malo, einem alten Piratenstädtchen mit sehr engen Gassen, umgeben von einem Festungsring, deshalb Intra Muros genannt. 200 m bis zu einem Tor in der Mauer und dann: der Strand. Mit Blick auf zwei kleine Inselchen, Le Grand Bé mit einer alten Festung und dem Grab von Chateaubriand und Petit Bé, beide bei Ebbe zu Fuß zu erreichen.

Schwierig aus diesem Grund: no parking Intra Muros. Also Schleppen der Einkäufe über einen relativ langen Weg. Aber was tut man nicht alles …

Die Bretagne und die Schönheiten des Weltenendes

Nun erst einmal noch einige Reminiszenzen zum Thema Bretagne, deren keltisches Herz in Frankreich schlägt, die aber nicht Frankreich ist (Breizh ist der keltische Name dieses Landstriches): Es ist der äußerste, nordwestliche Zipfel Frankreichs, an der östlichen Küste beginnend bei der Bucht, in der sich – allerdings noch zur Normandie gehörig – der Mont Saint Michel erhebt, der Berg im Meer, auf dem Benediktiner-Mönche im 8. Jahrhundert begannen, ein Kloster bauen. Trotz der von Touristen überlaufenen Tage (nachts ist der Berg „geschlossen“, man kann allerdings in einem kleinen Hotel übernachten und ist dann morgens fast allein dort; der Berg zählt 50 Einwohner) spürt man in der Kapelle, im Refektorium, im Kreuzgang eine unglaubliche Spiritualität, wenn man sich in die eigene Stille versenkt.

An der Küste entlang geht es über Cancale, Saint-Malo, Dinan, das wuchtige Cap Fréhel und die schönen, zartsandigen Strände zur Cote du Granit Rose. Hier liegen große, vom Meer rundgespülte Steinblöcke aus rosa Granit an den Meeresufern, manche erinnern an Möbel von Luigi Colani und sind bequem wie Liegestühle. Weiter an der Küste, nun nach Süden hin abbiegend, geht es zur  großen Hafenstadt Brest, an die Pointe du Raz, eine gewaltige Felsformation, die wie ein langer Finger in das Meer hineinragt, zum hübschen Städtchen Concarneau, die populären Badeorte wie La Baule, die berühmten Inseln, Ile de Re, und Halbinseln, Quiberon, an den kleinen Hafenstädtchen Lorient und Vannes vorbei bis hinunter in Richtung Nantes. Rosa Morgenhimmel und wilde Sonnenuntergänge, tangige Luft in den Häfen und Heckenrosen-Duft im Hinterland.

Sterne in roten Hosen und Hinkelsteine

Nicht zu vergessen: Dies ist auch das Land von Asterix und Obelix. Überall findet man Felder mit Menhiren, also den Obelixschen Hinkelsteinen, und das unbeugsame gallische Dorf liegt im Teil Finistère, also am Ende der Welt, im heutigen Nationalpark Aremorique. Der wahre Sinn und Zweck der Menhire – besonders im Örtchen Carnac sind viele zu finden – wird wohl für immer unbekannt sein. Sichtbar ist auch hier das keltische Erbe: Denn auch Stonehenge in England besteht aus Menhiren. Geheimnisvoll auch die alten Hünengräber, ganz besonders das große La Roche aux Fées in Essé bei Rennes, der Hauptstadt der Bretagne.

Einzigartig auch die sogenannten umfriedeten Pfarrbezirke, les enclos paroissiaux: Sizun, St Thégonnec, Guimiliau – hier gibt es sehr ausdrucksstarke Figuren aus der Leidensgeschichte Christi an den Triumphbögen und den Calvaires (hier ein großes Kruzifix, auf dem mehrere Personen dargestellt sind) zu sehen.

Wunderbar, und der Sage nach der Aufenthaltsort eines kleinen Waldgeister-Volkes, der schelmischen Korrigans, außerdem die Stätte von Merlins Grab, ist der Wald von Paimpont, Brocéliande, südöstlich von Rennes. Dunkel, geheimnisvoll und flüsternd. Kleine Bäche raunen in dunkelgrünem Baumgewirr und Merlin wispert seinen Zauber überall.

Der Snack der Bretonen

Zurück aber nun nach Saint-Malo und seinen kulinarischen Genüssen: Natürlich, wie überall in der Bretagne, gibt es auch hier eine Vielzahl von Creperien. Selbstverständlich liebe ich Crepe mit Crème de Marrons (Kastanienpürree) und Chantilly (geschlagene, süsse Sahne) – aber: Was ich vorziehe sind die würzigen Galettes, die aus Buchweizen-Mehl (Sarrasin) gemacht werden. Hier gibt es Varianten mit Pilzen, Käse, Blutwurst, Andouille (Kuttelwurst, riecht etwas streng), Tomaten und Ei – ein schneller Lunch, mit etwas Salat, perfekt.

Für den nächsten Punkt auf unserer kulinarischen Reise müssen wir Saint-Malo aber noch einmal kurz verlassen und rund 20 Kilometer in Richtung Osten fahren: Hier liegt der kleine Ort Cancale an der Küste und hier isst man Austern wie anderswo Pommes Frites oder Fish & Chips. Direkt am Hafen stehen fünf bis zehn Verkaufswagen, die große Berge von verschiedenen Austernarten anbieten. Kleine, große, gekräuselte, glatte. Für ein paar Euro bekommt man une Douzaine (12 Stück), frisch geöffnet, auf einem Plastikteller, mit einer Scheibe Zitrone und einem Gäbelchen. Damit setzt man sich auf die Kaimauer, genießt den Geschmack nach Meer und würzigem Eiweiß – die Konsistenz des gleichzeitig weich-schmelzend und dennoch festen Fleisches ist grandios – und wirft die Schalen einfach nach unten, wo sich entlang der gesamten Mauer bereits ein kleiner Berg gebildet hat. Findige Möwen bewegen sich lässig zwischen den Essenden und dem Austernschalenberg und finden immer noch etwas für den anscheinend ewig hungrigen Magen. Bei Ebbe kann man die Gestelle sehen und sogar dazwischen herumspazieren, auf denen die Austern gezüchtet werden.

Die Austern von Cancale haben einen sehr typischen, tangigen Geschmack, der auch eine bemerkenswert weihrauchartige Note entwickelt, was möglicherweise mit dem nicht weit entfernten Kloster vom Mont-Saint Michel zu tun hat, den man auf den Fotos im Hintergrund sehen kann.

Zarter im Geschmack sind die Austern des kleinen Dörfchens Veules les Roses in der Normandie, die allerdings nur sehr selten zu bekommen sind.

Saint-Malo und die kalte Platte

Zurück nach Saint-Malo: So nah am Meeressaum gibt es natürlich nicht nur Austern, sondern auch Wellhornschnecken, Taschenkrebse, Hummer, Crevetten, Venusmuscheln und und und …

All das findet sich auf einem sogenannten Plateau de Fruits de Mer. Bestellt man dies im Restaurant, erhält man zunächst ein Metallgestell, das zusammen mit einem Tellerchen mit Butterstückchen und ein paar Brotscheiben auf den Tisch gestellt wird. Dazu kommt ein kleines Schüsselchen, das kleingehackte Zwiebeln in Rotweinessig enthält und ein weiteres Schüsselchen mit Mayonnaise. An Stelle eines Besteckes erhält der Gast einen Nussknacker, diverse Haken und Häkchen, eine Austerngabel und ein Buttermesser.

Im Hintergrund hört man geheimnisvolles Rauschen, Klacken, Krachen, Fluchen. Und dann bringt der Garçon eine große, tiefe, blankpolierte Schüssel aus Metall, die schwungvoll auf das Gestell gepackt wird, mit einem herzhaften „Eh voila, bon appetit MesdamesMonsieur“.

Die Schüssel ist mit Eis gefüllt. Hierauf liegen – je nachdem zu welchem Preis man das Plateau bestellt hat – Muscheln, Crevetten, Austern, Schnecken jeglicher Couleur, Langusten, eine Meeresspinne, manchmal ein paar Seeigel, ein Taschenkrebs und/oder ein Hummer, leuchtend rot, die Krönung des Plateaus.

Gegessen wird dies alles selbstverständlich mit den Händen, unter Zuhilfenahme der unterschiedlichen Gerätschaften, die man zuvor bekommen hat. So kann man gut zwei Stunden verbringen, das Essen begleitet von einem kühlen Weißwein, vorzugsweise ein Chablis oder ein Muscadet sur lie. Zum Schluss, wenn nur noch das fast geschmolzene Eis in der Schale liegt und der Teller mit Schalen, Scheren, Panzern, leeren Schneckenhäusern gefüllt ist, man mit der Zitrone die Finger reinigt, ist man mehr als gut gesättigt. Brot, Butter und Zwiebelessig sind weitgehend unberührt – nun zum Abschluss noch ein Café und dann hinaus an den Strand vor Grand Bé, in den rosa-gelb-blauen Sonnenuntergang, den letzten Badenden zusehen und der Braut, die mit ihrem frisch angetrauten Ehegatten auf dem 5-Meter-Brett des Sprungturmes darauf wartet, samt teurem Hochzeitskleid und Schleier von den Trauzeugen in das Meeres-Becken geworfen zu werden, vor Vergnügen kreischend.

Frankreich at home

In Berlin sind Austern und Krebse zu einem vernünftigen Preis bislang nicht zu bekommen gewesen; nun haben wir in der Markthalle 9 einen französischen Anbieter für Meeresfrüchte und Fisch gefunden, und voilá, ein Taschenkrebs (Tourteau), 6 Cancale-Austern und ein paar hundert Gramm rosa Crevetten sind unser. Unser eigenes Plateau de Fruits de Mer, so holen wir den Geschmack unseres geliebten Frankreich nach Hause, so lange wir nicht dorthin reisen können.

Viel zu kochen gibt es hier natürlich nicht; was aber gekocht werden muss – und hier scheue ich mich etwas, das zu schreiben (siehe weiter unten) – ist der Taschenkrebs. Denn er lebt noch. Das muss er, denn anderenfalls kann man ihn nicht essen. Er muss unbedingt mit der Vorderseite zuerst in das sprudelnd kochende Wasser gegeben werden. Möchte man mehrere Taschenkrebse kochen, müssen diese einzeln gekocht werden, denn anderenfalls würde das Wasser beim Hineingeben zu sehr abkühlen. Nur so kann man gewährleisten, dass das Tier sofort und ohne zu leiden die Seiten wechselt. Ein Zeichen des Respekts vor der Natur.

Je 1000 g Krebs rechnet man 16 Minuten Kochzeit, danach gießt man kaltes Wasser nach, nimmt den Topf vom Herd und lässt den Krebs noch ca. 10 Minuten nachziehen.

Man kann das Wasser selbstverständlich würzen, etwas Weißwein, etwas Pfeffer, Lorbeerblätter etc. dazugeben – muss man aber nicht. Ich selbst schmecke keinen Unterschied.

Um den Krebs zu öffnen, braucht es einen Nussknacker, um an das köstliche Fleisch, besonders das in den Scheren, zu gelangen, lange Metallstäbchen mit einem kleinen Haken an einer Seite.

Noch ein Hinweis: Die Austern werden bitte vor dem Hinunterschlucken gekaut. Und es ist absolut unnötig, sie mit Zwiebeln oder Zitrone zu würzen, dies überdeckt ja nur den wunderbaren Geschmack.

Unser eigenes Plateau de Fruits de Mer wurde dieses Mal begleitet von einem köstlichen Chablis von Samuel Billaud, einem Premier Cru aus der Lage Montee de Tonnerre.

Debrit ervat! Bon appetit! Guten Appetit!

Mehr zu Chablis finden Sie übrigens hier.

Plateau de Fruits de Mer

Plateau de Fruits de Mer

Gang: HauptgerichtKüche: FranzösischSchwierigkeit: Einfach
Portionen

2

Portionen
Vorbereitungszeit

30

Minuten
Kochzeit

16

Minuten

Zutaten

  • 1 frischer Taschenkrebs (ca. 800 g)

  • 6 frische Austern

  • 300 g rosa Crevetten

  • Zitrone, Mayonnaise, Baguette nach Belieben

Zubereitung

  • In einem großen Topf Wasser (ca. 10 l) zum Kochen bringen (sprudelnd)
  • Taschenkrebs mit der Vorderseite zuerst in das sprudelnde Wasser geben
  • Je nach Gewicht kochen lassen, 1000 g dauern rd. 16 Minuten, 500 g entsprechend 8 Minuten
  • Beim Ende der Kochzeit ein großes Glas kaltes Wasser hinzugeben und den Topf von der Platte nehmen, noch ca. 10 Minuten ziehen lassen
  • Meeresfrüchte auf einer Platte mit ein paar Eiswürfeln anrichten und mit Butter, Brot, Mayonnaise oder einer Cocktailsauce servieren.