Innere Werte I – Das Zünglein an der Waage

Wahre Schönheit kommt von Innen

Innereien – und dazu zähle ich hier einmal auch die Kalbszunge – sind in Deutschland eher etwas für „Kenner“ oder für eingefleischte (pun intended) Liebhaber regionaler, bodenständiger Küche.

Auch ich fand Innereien früher eher nicht appetitlich, allerhöchstens kochte ich schon einmal ein Rinderherz, um den verwöhnt-mäkeligen Geschmack meiner Katze Lulu zu befriedigen. Die dann auch das Herz mit vorwurfsvollem Blick links liegen ließ.

Aber: In der Rindfleischsuppe waren nie genug Markklößchen für meinen Geschmack – dass es sich dabei ebenfalls eigentlich um Innereien handelt, war mir nie so recht klar gewesen. Und: Beim Ossobuco achtete ich immer akribisch darauf, dasjenige Stück zu bekommen, in dessen Knochen das größte Mark-Auge zu sehen war. „Cremig-würzig“ bringt diesen Geschmack auf den Punkt. Und irgendwie habe ich, wenn ich das Knochenmark des Ossobuco auf der Zunge zergehen lasse, das Gefühl: Ich werde zum Raubtier. Ein archaischer Geschmack.

Nierchen, Zünglein, Brieschen

Ich kann durchaus immer noch verstehen, dass man Innereien skeptisch gegenübersteht – und auch, dass man sie nicht mag. Ein Freund von uns nennt sie „schnirpselig“, was manches Mal auf die Konsistenz ja auch durchaus zutrifft. Auch haben Kalbsnieren, die ich allerdings sehr gerne esse (Rezept hier), halt manchmal einen leicht urinartigen Geruch. Der Geschmack ist davon meines Erachtens aber nicht betroffen, wenn man sie möglichst frisch – am besten noch in der Fetthülle – kauft.

Wofür ich hier aber tatsächlich eine Lanze brechen möchte, ist Folgendes: Kalbsbries. Hierbei handelt es sich um die Thymusdrüse des Kalbs, erwachsene Rinder haben diese nicht mehr.

Eine zartrosa, glänzende Masse, die – in Meersalzbutter gebraten – etwas fester und weiß wird und das Paradies jedes Kalbsknochenmarkfanatikers sein dürfte. Auf geröstetem Baguette, mit ein paar Krümelchen grobem Meersalz und einem Glas St Aubin aus Burgund – köstlich.

Leider kann ich hierzu kein Foto einstellen, denn Kalbsbries ist hier – auch zu Nicht-Corona-Zeiten – nur sehr schwer zu bekommen (ich tue mich schwer damit, hier nicht zu erwähnen, dass es Ris de Veau, nämlich Kalbsbries, auf französischen Märkten regelmäßig zu kaufen gibt – man muss aber auch hier ein früher Vogel sein, denn es ist sehr begehrt, ebenso wie Onglet, der Nierenzapfen).

Was ich aber im Onlineshop kaufen konnte: eine Kalbszunge. Und hier gerate ich regelmäßig ins Schwärmen. Und sogar Freunde, die das eigentlich nie probieren wollten, haben es dann doch getan und wünschen sich nun regelmäßig ein Zünglein, wenn ich nach den Wünschen für das gemeinschaftliche Essen frage.

Eine gute und gut zubereitete Kalbszunge zerschmilzt auf der eigenen Zunge und ihre zart-würzige, cremige und doch deutlich fleischige Aromatik ist ganz großes Kino. Und sie hat erfreulich wenig Kalorien.

Kalbszunge braucht Zeit und Geduld

Sie muss recht lange gekocht werden, damit sie zart wird – und bitte niemals vergessen: Die weiße, mit Widerhaken überzogene Haut muss abgezogen werden. Die reibeisenartige Fläche braucht das Kälbchen zum Fressen – wir aber brauchen das nicht auf unserer Zunge. Das Abziehen ist vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig, geht aber ganz leicht von der Hand.

Man kann entweder eine Sauce mit Rotwein oder Madeira dazu machen, oder – so mögen wir es am liebsten – mit einer Blanquette, einer weißen Sauce aus einer Mehlschwitze, die mit dem Kochwasser der Zunge aufgeschäumt wird. Wer es mag, gibt noch kleine Kapern dazu.

Je nach Sauce trinkt man dann einen Rot- oder Weißwein dazu. Als Weißwein am besten einen Burgunder, gerne einen Chassagne-Montrachet, als Rotwein einen sanften Minervois. Champagner geht natürlich auch. Champagner geht immer. Bevor ich hier nun vor Begeisterung meine vielgrühmte Contenance verliere: stop. Champagner verdient ganz unbedingt einen eigenen Beitrag.

Kalbszunge auf Blanquette

Kalbszunge auf Blanquette

Gang: Allgemein
Portionen

4

Portionen
Zubereitungszeit

30

Minuten
Kochzeit

2

Stunden 

20

Minuten

Zutaten

  • 1 frische Kalbszunge (ca. 800 g)

  • 2 Möhren, 1 Stange Lauch, 1 große Schalotte, 2 Lorbeerblätter

  • 2 EL Meersalzbutter

  • 1,5 EL Mehl

  • Salz, Pfeffer, Saft von einer halben Zitrone

  • Optional: 1 TL Kapern (Nonpareilles)

  • 1 Becher Schlagsahne

Zubereitung

  • Zunge waschen und ggf. von Sehnen oder Adern befreien
  • Möhren in grobe Stücke schneiden, ebenso den Lauch, Schalotte vierteln
  • Zunge, Gemüse und Lorbeerblätter in einen großen Topf geben und mit kaltem Wasser auffüllen (die Zunge muss bedeckt sein), salzen.
  • Zum Kochen bringen, dann auf kleiner Hitze ca. 2 Stunden kochen.
  • Die Zunge ist gar, wenn man mit einem Zahnstocher sehr leicht in das Fleisch einstechen kann.
  • Zunge aus dem Kochwasser nehmen. Das Kochwasser in ein anderes Gefäß abgießen und beseite stellen (wir brauchen es später für die Sauce!)
  • Die Zunge leicht abkühlen lassen; mit einem scharfen Messer einen oberflächlichen Schnitt in die weiße Haut machen und die gesamte Haut von der Zunge abziehen. Das sollte an der Spitze und in der Mitte recht leicht gehen, an manchen Stellen am dickeren Ende muss man evtl. etwas mit dem Messer nachhelfen.
  • Die Zunge in ca. 1 cm dicke Scheiben schneiden und beseite stellen.
  • Für die Blanquette in einer Pfanne eine Mehlschwitze mit der Butter und dem Mehl herstellen, Kochbrühe nach Belieben (ca. 400 ml oder mehr) hinzufügen. Aufkochen lassen und gut umrühren, danach einen Schuss Schlagsahne hinzufügen. Salzen und Pfeffern nach Geschmack. Zum Schluss vorsichtig den Zitronensaft hinzufügen, zwischendurch abschmecken, es sollte nicht zu säuerlich werden. Wer mag, fügt noch einige kleine Kapern hinzu.
  • Die Zungenscheiben in die Sauce legen, damit nochmals erwärmen. Auf einem Teller anrichten. Als Beilage Reis oder Kartoffelpüree reichen.